
Aktualisierung der Provenienzstrategie
Präsidium und Direktion der Zürcher Kunstgesellschaft begrüssen, dass auf nationaler Ebene auf den 1. Januar 2024 eine unabhängige Kommission aus Expertinnen und Experten für historisch belastetes Kulturerbe geschaffen wurde.
Aufgrund dieser Entscheidung auf Bundesebene verzichtet das Kunsthaus wie angekündigt auf die Einsetzung einer eigenen internationalen Kommission aus Expertinnen und Experten.
Dezember 2023
Glossar
Provenienzforschung
Ziel der Provenienzforschung ist die Aufarbeitung der Besitzverhältnisse von Kunstwerken seit dem Zeitpunkt ihrer Entstehung. Im Fokus stehen Werke, welche während der Zeit des Nationalsozialismus und der Verfolgung und Ermordung von Jüdinnen und Juden sowie anderen Minderheiten einen Wechsel der Besitzverhältnisse erfuhren.
NS-verfolgungsbedingt entzogene Kulturgüter (= NS-Raubkunst)
Als NS-Raubkunst gelten Kulturgüter, die die Angehörigen des Nationalsozialismus zwischen 1933 und 1945 ihren vorwiegend jüdischen Eigentümerinnen und Eigentümern entzogen haben. Dies geschah durch Beschlagnahmungen, Zwangsverkäufe und andere unter Druck vollzogene Massnahmen. Darunter können auch die bisher in der Schweiz als «Fluchtgut» bezeichneten Verkäufe ausserhalb des NS-Machtbereichs fallen.
Washingtoner Erklärung (1998) und Erklärung von Terezín (2009)
Die Washingtoner Erklärung bildet die Grundlage für die Erforschung und den Umgang mit NS-Raubgut. Sie wurde als rechtlich nicht-bindende Erklärung von 44 Staaten, darunter auch der Schweiz, verabschiedet. Ihr Ziel ist es zunächst, NS-Raubkunst zu identifizieren. Bei strittigen Eigentumsfragen sollen alternative Lösungsmechanismen wie Kommissionen eingerichtet und «faire und gerechte Lösungen» zwischen den Nachkommen der ehemaligen Eigentümer:innen und den heutigen Besitzer:innen gefunden werden.
Die Erklärung von Terezín erweiterte die Definition von Raubkunst in der Washingtoner Erklärung. Mit dieser Erklärung sollen auch Kulturgüter, die aufgrund der NS-Verfolgung unter Druck verkauft wurden, einer Regelung unterstehen.
Faire und gerechte Lösungen
Die «fairen und gerechten Lösungen» umfassen ein Spektrum an unterschiedlichen Massnahmen. Möglich sind etwa eine öffentliche Würdigung der Entzugsumstände eines Werks in einer Ausstellung oder eine Erwähnung der Provenienzgeschichte beim gezeigten Werk im Museum. Auch die Zahlung von Entschädigungen ist eine Lösung. Weiter kann der Verkauf des Werks an Dritte mit Aufteilung des Erlöses oder nachfolgender Leihgabe an die heutigen Besitzerinnen und Besitzer vereinbart werden. Die bekannteste Massnahme ist die Rückgabe (Restitution).
Forschungsprojekte
Eingehende Korrespondenz ZKG/KHZ 1933–1945 (2025–2026)
Korrespondenz der Sammlungskommission des Kunsthauses Zürich 1933–1945 und weitere für die Provenienzforschung relevante Archivalien
Mit Hilfe von Fördermitteln des Bundesamts für Kultur digitalisiert das Archiv der Zürcher Kunstgesellschaft und das Kunsthauses Zürich (Archiv ZKG/KHZ) die archivierte Korrespondenz, die zwischen 1933 und 1945 bei der Sammlungsabteilung des Kunsthauses Zürich einging. Diese Korrespondenz wurde seitens des Kunsthauses vor allem vom damaligen Direktor Wilhelm Wartmann sowie der Sekretärin Anna Rohr geführt und verwaltet. Der Bestand enthält Briefe, Postkarten, Telegramme und zusätzliches Material von Kunsthändler:innen, Museen, Galerien, Sammler:innen und Kunstvereinen aus dem In- und Ausland, aber auch von Behörden, Speditionsunternehmen sowie interessierten Museumsbesucher:innen. In ihrer Gesamtheit erlauben sie einen Einblick in das Handeln Wartmanns in seiner Funktion als Direktor und des Kunsthauses als Institution, im Detail können einzelne Schriftstücke wertvolle Nachweise und Spuren bei der Rekonstruktion von Provenienzgeschichten einzelner Werke liefern. Das Projekt ergänzt die bereits digitalisierten Briefkopienbücher desselben Zeitraums, in denen die von der Sammlungs- und Ausstellungsabteilung ausgegangene Korrespondenz in Form von Durchschlägen überliefert ist.
Die Archivalien werden vom Digitalisierungszentrum der Zentralbibliothek Zürich professionell digital reproduziert. Anschliessend werden sie vom Team Bibliothek & Archiv des Kunsthauses Zürich mit Metadaten versehen. Sämtliche Schriftstücke werden mit Angaben zum Entstehungsdatum und -ort sowie zur Absender:in und Empfänger:in versehen, wobei gegebenenfalls eine Verknüpfung zu entsprechenden Normdatensätzen in der Gemeinsamen Normdatei (GND) hergestellt wird. Das Team Provenienzforschung ergänzt bei der Forschungsarbeit mit den Digitalisaten ausserdem fortlaufend weitere Schlagwörter zum Inhalt der einzelnen Dokumente.
Zusätzlich zur Korrespondenz der Sammlungsabteilung publiziert das Kunsthaus im Rahmen dieses Projektes auch die zwei Bände des Sammlungsinventars (1803–1978; 1979–2025), das bis 2025 handschriftlich geführt wurde, sowie fünf Bände mit Verzeichnissen von Deposita aus den Jahren 1909 bis 1970.
Die gemeinfreien Dokumente werden mit Abschluss des Projekts über https://digital.kunsthaus.ch/ frei zugänglich gemacht. Für noch urheberrechtlich geschützte Dokumente werden zunächst nur die Metadaten angezeigt. Jährlich werden die Werke derjenigen Urheber:innen, die neu in die Gemeinfreiheit übergehen, für die öffentliche Ansicht freigeschaltet; zuvor sind die urheberrechtlich geschützten Dokumente bereits auf Anfrage im Lesesaal der Kunsthaus-Bibliothek einsehbar.»
Tiefenrecherchen 1933–1945 (2025-2026)
Tiefenrecherchen zu ausgewählten Provenienzen der Erwerbungen der Sammlung Gemälde und Skulpturen 1933–1945 (2025-2026)
Im dem vom Kanton Zürich geförderten Projekt «Tiefenrecherchen zu ausgewählten Provenienzen der Erwerbungen der Sammlung Gemälde und Skulpturen, 1933–1945 (2025-2026)» werden Gemälde und Skulpturen einer Tiefenrecherche unterzogen, die in den Jahren 1933 bis 1945 ans Kunsthaus kamen und bei denen ein Verdacht auf NS-Raubkunst besteht. Dabei stehen insbesondere auch die Verkäufe ausserhalb des NS-Machtbereichs («Fluchtgut») im Fokus. Das Projekt umfasst die Erforschung der Herkunft von 33 Werken, die entweder unmittelbar vor dem Zugang ans Kunsthaus Zürich einer verfolgten Person gehört hatten oder von Kunsthändler:innen oder Sammler:innen angekauft wurden, die nachweislich in den NS-Kunstraub involviert waren (sogenannte «Red Flag Names»). Die Tiefenrecherchen beziehen sich somit vor allem auf die Umstände des jeweiligen Handwechsels an das Kunsthaus von zumeist bereits bekannten Vorbesitzer:innen.
Die Ergebnisse werden sukzessive in der Sammlung Online publiziert.
Die Sammlungszugänge 1946–1960 (2023–2024)
Die Zugänge der Sammlung Gemälde und Skulpturen 1946–1960 (2023–2024)
Das vom Bundesamt für Kultur geförderte Projekt «Die Zugänge der Sammlung Gemälde und Skulpturen 1946–1960 (2023–2024)» untersuchte systematisch die Handwechsel während der NS-Zeit zwischen 1933 und 1945 der Erwerbungen der Nachkriegsjahre zwischen 1946 und 1960 der Sammlung Gemälde und Skulpturen des Kunsthaus Zürich. Das Projekt umfasste in einem ersten Schritt die Prüfung der vorhandenen Provenienzangaben von 248 Werken. In einem zweiten Schritt wurden 74 Werke am Original untersucht und dokumentiert sowie die Provenienzen dieser Werke überprüft, ergänzt und erforscht.
Die Ergebnisse werden sukzessive in der Sammlung Online publiziert.
Die Schenkungen Ruzicka/Bär/Haefner (2021–2023)
Die Provenienzen der Schenkungen Leopold Ruzicka (1949), Nelly Bär (1968) & Walter Haefner (1973–1995) (2021–2023)
Das vom Bundesamt für Kultur geförderte Projekt «Die Provenienzen der Schenkungen Leopold Ruzicka (1949), Nelly Bär (1968) & Walter Haefner (1973–1995)» untersuchte von den drei zentralen Schenkungen der Nachkriegszeit die Handwechsel während der NS-Zeit zwischen 1933 und 1945. Dabei wurden die 74 vor 1945 entstandenen Gemälde, Skulpturen und Zeichnungen der drei Schenkungen am Original untersucht und dokumentiert, der kunstwissenschaftliche Korpus aufgearbeitet und die Provenienzen der Werke überprüft, erforscht und ergänzt. Das Projekt umfasste die heute 47 Werke zählende Altmeistersammlung von Leopold Ruzicka sowie die beiden hochkarätigen Schenkungen zur französischen Moderne von Nelly Bär und Walter Haefner, die 28 resp. 14 Werke umfassen. Damit wurden die umfangreichen und zentralen Zugänge von privaten Leihgeberinnen und Leihgebern sowie Donatorinnen und Donatoren erstmals beispielhaft systematisch erforscht, dokumentiert und publiziert.
Die Ergebnisse werden sukzessive in der Sammlung Online publiziert.
Briefkopienbücher ZKG / KHZ 1933–1945 (2021–2022)
Briefkopienbücher ZKG / KHZ 1933–1945 (2021–2022)
Wilhelm Wartmann (1882-1970), der erste Direktor des Kunsthauses Zürich, war von 1909 bis 1949 im Amt. Die umfangreichen Verwaltungsakten aus seiner Amtszeit sind bis heute ziemlich vollständig überliefert. Die Briefkopienbücher (Letterpress copybooks), in denen alle ausgehenden Schreiben des Kunsthauses enthalten sind, bieten mit ihren alphabetischen Empfänger:innenregistern einen vorzüglichen Zugang zum gesamten Archiv und machen alle Vorgänge relativ leicht auffindbar. In den hier erstmals veröffentlichten 63 Bänden aus der Zeit von 1933 bis 1945 sind detaillierte Angaben zu Ausstellungen, Ankäufen, Leihvorgängen, Deposita, Verkäufen, Im- und Exportvorgängen und vieles mehr dokumentiert. Diese Informationen sind sonst nirgends zugänglich.
Die Briefkopienbücher sind in zwei Reihen unterteilt: «Ausstellung» und «Allgemeine Korrespondenz». Innerhalb der beiden Reihen sind die Briefe chronologisch abgelegt, so dass man einen Zeitraum einfach durchblättern kann. Da die Empfänger:innenregister transkribiert wurden, ist die Suche nach Personen- und Körperschaftsnamen möglich. Die historischen Registereintragungen sind jedoch nicht immer vollständig.
Die Bände werden beginnend mit «Ausstellung» im Rahmen eines vom Bundesamt für Kultur geförderten Projekts nach und nach veröffentlicht.
Grafische Sammlung Zugänge 1933–1950 (2017–2019)
Grafische Sammlung Zugänge 1933–1950 (2017–2019)
Das vom Bundesamt für Kultur geförderte Projekt diente der Erforschung und Veröffentlichung der Provenienzen aller Neuzugänge der Grafischen Sammlung im Zeitraum von 1933 bis 1950. In dieser Zeit gelangten rund 10‘000 Werke auf Papier entweder als Schenkung oder als Erwerbung in die Grafische Sammlung. Rund 3'900 Blätter lagen im Fokus des Forschungsprojektes.
Bei keinem der Werke konnten eindeutige Hinweise auf einen konfiskatorischen Handwechsel und somit auf NS-Raubkunst gefunden werden. Rund zwei Drittel können somit als unbedenklich und lückenlos oder als lückenhaft ohne Hinweise auf bedenkliche Handwechsel eingestuft werden. Bei den restlichen Fällen konnte mindestens der Vorbesitzer identifiziert werden. Es besteht jedoch weiterer Forschungsbedarf.
Die Ergebnisse werden sukzessive in der Sammlung Online publiziert und sind ab sofort online in unserer Werkliste einsehbar.
Sammlung Online für Provenienzen (2017–2018)
Online-Publikation der Provenienzen der Sammlung Gemälde und Skulpturen (2017–2018)
Die Provenienzen der Sammlung Gemälde und Skulpturen wurden im Zusammenhang mit der Erarbeitung des Gesamtkatalogs der Gemälde und Skulpturen in den Jahren 2002 bis 2007 aktualisiert, vor allem auch jener Werke, die als Geschenke seit den 1950er Jahren ans Haus kamen. Die dokumentierten Provenienzen der Werke sind im Gesamtkatalog sowie als PDF publiziert und für alle einsehbar – sie werden sukzessive auch in der Sammlung Online aufgeschaltet, die dank der Unterstützung vom Bundesamt für Kultur entwickelt werden konnte
Alle Forschungsprojekte unterstützt von:

Einigung im Sinne einer «fairen und gerechten Lösung» mit den Erbinnen und Erben des jüdischen Industriellen und Kunstsammlers Carl Sachs
Das Gemälde «L’Homme à l’ombrelle» von Claude Monet stammt aus der Sammlung des jüdischen Unternehmers Carl Sachs (1858-1943) und kam 1934 zusammen mit weiteren Werken seiner Sammlung als Leihgabe ans Kunsthaus Zürich. Carl und Margarete Sachs übernahmen eine wichtig Funktion in der Förderung des kulturellen Lebens ihrer Heimatstadt Breslau. Sie gehörten aufgrund ihrer jüdischen Abstammung zur Gruppe der Kollektivverfolgten des NS-Regimes. Die gegen jüdische Mitbürgerinnen und -bürger per Gesetz erhobenen Repressalien der Anhänger:innen des Nationalsozialismus führten dazu, dass sie 1939 aus Deutschland in die Schweiz flüchteten. Bei ihrer Einreise waren sie mittellos und mussten ihre im Kunsthaus befindlichen Werke beleihen. Sachs verkaufte nur wenige Wochen nach seiner Flucht, im April 1939, das Gemälde ans Kunsthaus Zürich.
Die Zürcher Kunstgesellschaft beurteilt dieses Gemälde nach umfangreichen Forschungen als «NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut». Daher fand sie am 5. Juni 2024 mit den Erben des jüdischen Industriellen und Kunstsammlers Carl Sachs eine «faire und gerechte Lösung». Das Werk wird im Rahmen einer gütlichen Einigung verkauft.
Provenienzbericht zu Claude Monet, L’Homme à l’ombrelle, 1865/1867

Einigung im Sinne einer «fairen und gerechten Lösung» mit den Erbinnen und Erben von Alfred Sommerguth & Jean und Ida Baer
Anlässlich einer 2007 erfolgten, grösseren Schenkung von Gemälden Albert Kellers aus dem Nachlass des Zürcher Kunstsammlers Oskar A. Müller, veranstaltete das Kunsthaus 2009 eine Ausstellung über den Maler. Aufgrund des dabei erarbeiteten Katalogs konnten externe Sachverständige feststellen, dass es sich bei einem der Gemälde der Schenkung, dem Werk «Madame la Suire» um Raubkunst handeln könnte. Einst im Besitz des jüdischen Kunstsammlers Alfred Sommerguth, war das Werk, wie sich herausstellte, wenige Monate vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs von den nationalsozialistischen Behörden in Berlin zwangsversteigert worden. Das Kunsthaus prüfte den Sachverhalt und bot den Nachkommen der ursprünglichen Besitzer:innen nach Bestätigung des Verdachts an, das Werk zurückzugeben oder es ihnen abzukaufen. Die Nachkommen von Alfred Sommerguth beschlossen jedoch grosszügigerweise, das Ölgemälde dem Zürcher Kunsthaus als Schenkung zu überlassen und verlangten lediglich, dass das Werk, wenn es ausgestellt wird, mit einem entsprechenden Vermerk versehen wird.
Ebenfalls betroffen war Alfred von Kellers Werk «Akt am Strand / Abend», das um 1940 von Anhänger:innen des Nationalsozialismus aus der Sammlung Jean und Ida Baer geraubt wurde. Es konnte 2012 aufgrund einer Übereinkunft mit den Erbinnen und Erben und mit Hilfe der Schenkung von Hannelore Müller erworben werden.

Provenienzkategorien
Das Kunsthaus Zürich stuft die Provenienzen seiner Werke basierend auf den vom Kunstmuseum Bern entwickelten Provenienzkategorien ein (Berner Ampel, 2021). Die Kategorien «Gelb-Grün» und «Gelb-Rot» sind dynamisch und lassen eine qualitative Bewertung für Werke mit lückenhafter Provenienz zu. Erstere steht für «keine Hinweise auf NS-Raubkunst» und letztere für «Hinweise auf NS-Raubkunst». Diese Unterscheidung erlaubt den dynamischen Erkenntnislagen der Forschung gerecht zu werden und diese adäquat abzubilden. Zudem kann eine Kategorisierung als «Gelb-Rot» auch Grundlage zu einer fairen und gerechten Lösung gemäss Washingtoner Grundsätze (1998) sein.
Nebst dem öffentlichen Publizieren auf der Sammlung Online, findet die Kategorisierung auch in den Sammlungsräumen Eingang. Dort werden Werke, deren Provenienz erforscht wird, gekennzeichnet.